Bundesregierung will das strenge Film- und Tonübertragungsverbot aus Gerichtssälen lockern.
Insbesondere in den USA ist eine Live – Fernsehberichterstattung aus Gerichtssälen schon seit vielen Jahren keine Besonderheit. Dort existierte mit „Court-TV“ sogar ein eigener Spartenfernsehsender, der ausschließlich aus und über Gerichtsverfahren berichtete. In Deutschland war dies bis zum heutigen Tag im Wesentlichen verboten. Gerichtsverhandlungen sind zwar öffentlich, aber eine direkte Hörfunk- oder Bildberichterstattung ist, mit Ausnahme der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder Aufnahmen aus dem Gerichtssaal unmittelbar vor oder nach der Verhandlung, unzulässig.
Doch das soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht so bleiben und das Kabinett verabschiedete jetzt einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Dieser wird von dem Justizministerium wie folgt angekündigt:
„Der Gesetzentwurf sieht vor, das seit 1964 bestehende Verbot von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung moderat zu lockern. Das gewandelte Medienverständnis und der Umgang mit modernen Kommunikationsformen lassen ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Künftig erhalten Gerichte die Möglichkeit, in bestimmten Fällen Aufzeichnungen bzw. Übertragungen zu gestatten.
Zugelassen werden können
- die Übertragung der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter;
- eine audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sowie
- die Übertragung von Verkündungen von Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in den Medien.
Die Regelung soll neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch für die Arbeits-, die Verwaltungs-, die Finanz- und die Sozialgerichtsbarkeit und in angepasster Form auch für das Bundesverfassungsgericht gelten.“
Quelle: Bundessministerium für Justiz und Verbraucherschutz, bmjv.de
In der Rechtsprechung war ein solcher Wunsch auf Basis der bisherigen Gesetzeslage nicht durchgedrungen. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit diesem Thema beschäftigt und entschieden, dass es kein Recht auf Aufnahmen aus den Gerichtssälen gibt. Denn Verhältnisse wie in den USA wollte man nicht schaffen.
Court-TV in den USA
Dieser Wunsch ist durchaus nachvollziehbar. Denn, wer erinnert sich nicht noch an den stammelnden Ex-Tennisprofi Boris Becker vor Gericht in Miami/USA. Der prominente Sportsmann musste als Beklagter auf verzwickte Fragen Rede und Antwort stehen. Die peinliche Anhörung im Verfahren Barbara Becker vs. Boris Becker durfte live übertragen werden. Und auch das deutsche Fernsehen, Private wie Öffentlich-Rechtliche, strahlten die quotenträchtigen Bilder des Rosenkriegs aus.
Selbst in Strafverhandlungen darf in den USA die Kamera dabei sein. Der spektakulärste und medienwirksamste Prozess war wohl derjenige gegen O.J.Simpson. Eine riesige Öffentlichkeit konnte anhand von Live-Bildern aus dem Gerichtssaal darüber spekulieren, ob Simpson des Doppelmordes schuldig sei oder nicht. Aber auch aus anderen Ländern kennen wir solche Bilder. Wie z.B. die Berichterstattung über den Strafprozess gegen den körperbehinderten Sprinter Oscar Pistorius in Südafrika. Auch in Neuseeland ist zum Beispiel das Livestreaming von Gerichtsprozessen möglich. So etwa bei der Verhandlung über Kim Dotcoms Gesuch, nicht an die USA ausgeliefert zu werden.
Rückblick: n-tv ging bereits gerichtlich gegen Verbot vor
Die Frage, ob Kameras vor Gericht erlaubt sind, hat in der Vergangenheit schon deutsche Gerichte beschäftigt. So hatte sich im Jahr 2000 der Nachrichtensender n-tv gegen den Ausschluss von Fernsehkameras in Gerichtssälen gewehrt. n-tv wollte sowohl bei dem Strafverfahren im sog. Politbüroprozess als auch bei dem sog. Kruzifix-Verfahren filmen. Bei dem Prozess gegen die SED-Riege wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze vor dem Landgericht Berlin argumentierte der Nachrichtenkanal, dass die Verhandlung gegen Mielke und Konsorten als zeitgeschichtliches Ereignis einzustufen sei. Im Kruzifix-Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht, bei dem es um die Zulässigkeit der Anbringung von Kruzifixen in bayerischen Schulen ging, sei der Prozess für die öffentliche Meinungsbildung wichtig. Bei beiden Prozessen wurden die Kameras des Nachrichtensenders nicht in den Gerichtssaal gelassen.
Dieses wollte n-tv nicht hinnehmen. Für beide Verfahren galt nach Ansicht des Berliner Senders, dass Öffentlichkeit heutzutage Medienöffentlichkeit bedeute. Durch die Nichtgestattung der Filmaufnahmen würde in die verfassungsmäßig gewährleisteten Grundrechte der Informations- und Rundfunkfreiheit eingegriffen. Gegenüber der schreibenden Zunft sei die Fernsehberichterstattung benachteiligt. Ein Filmverbot sei auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Angeklagten in ihren Rechten beeinträchtigt würden. Eine Fernsehübertragung in den beiden vorliegenden Verfahren würde das Persönlichkeitsrecht der Prozessbeteiligten nämlich nicht verletzen. Denn im Strafverfahren gegen die ehemaligen DDR-Verantwortlichen seien die Angeklagten als absolute Persönlichkeiten der Zeitgeschichte einzustufen und könnten sich demnach auch nicht gegen ein besonderes Berichterstattungsinteresse wehren. Im Revisionsverfahren des Kruzifix-Prozesses würden lediglich Richter und Anwälte als Prozessbeteiligte auftreten, die bei der Ausübung ihrer Berufe gefilmt werden würden. Dies sei von den Justiz-Profis hinzunehmen.
Es ginge n-tv nicht darum, durch die Übertragungen die Sensationslust der Zuschauer zu befriedigen. Vielmehr wolle man durch die Fernsehberichterstattung eine breitere öffentliche Kontrolle der Rechtsprechung ermöglichen. Auch würde der Bevölkerung Rechtskenntnis und Rechtsverständnis vermittelt.
Urteil des BVerfG
Das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hatte im Jahre 2001 die Beschwerde von n-tv zu entscheiden.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte, dass Hörfunk- und Fernsehaufnahmen in Gerichtsverhandlungen weiterhin unzulässig sind. Das Recht auf Informations- und Rundfunkfreiheit sei durch das gesetzliche Kameraverbot nicht verletzt. Zur Begründung führten die Richter aus, dass es kein Recht auf den Zugang von Fernsehkameras gebe. Solange es grundsätzlich möglich sei, sich in den öffentlichen Gerichtsverhandlungen zu informieren, sei dieses für die Gewährleistung der Rundfunk- und Informationsfreiheit ausreichend. Einer unbegrenzten Fernsehöffentlichkeit stehen nach Ansicht des Verfassungsgerichts gewichtige Interessen entgegen, namentlich die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren sowie die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung. Es bestehe durch die Regelung des Gesetzgebers keine Medienöffentlichkeit. Öffentlich sei lediglich der Besuch des Gerichtssaals. Dieses sei auch richtig so, denn viele Menschen würden ihr Verhalten in sichtbarer Anwesenheit von Medien ändern.
Abweichendes Votum
Drei der acht Verfassungsrichter der 1. Kammer taten in der Urteilsbegründung ihre abweichende Meinung kund. Nach Auffassung der Abweichler sei der Gesetzgeber verpflichtet, eine über die Saalöffentlichkeit hinausgehende Medienöffentlichkeit zu ermöglichen. Ein komplettes Verbot von Rundfunk- und Fernsehaufzeichnungen sei heute nicht mehr zu rechtfertigen. Die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten hätten sich seit der Kaiserzeit stark verändert. Früher sei die über die Saalöffentlichkeit ermöglichte Zeitungsberichterstattung deckungsgleich mit der Medienöffentlichkeit gewesen. Heutzutage bedeute Öffentlichkeit auch Rundfunk- und Fernsehberichterstattung. Das abweichende Votum betont jedoch, dass nur dann Fernseh- und Hörfunkaufnahmen gemacht werden dürften, wenn keine Rechte Anderer verletzt würden. Dort, wo z.B. Persönlichkeitsrechte von Prozessbeteiligten nicht gefährdet seien, müsse allerdings auch gefilmt werden dürfen. So zum Beispiel bei Urteilsverkündungen oder in Verwaltungsverfahren der oberen Instanzen, wenn es lediglich um die Klärung von Rechtsfragen ginge.
Fazit
Der Schutz der Prozessbeteiligten ist das wichtigste Gebot in der Diskussion um die Zulassung von Kameras und Mikrofonen in Gerichtsverhandlungen. Ein Gerichtsfernsehen nach amerikanischem Vorbild ist demnach jedenfalls abzulehnen. So ist auch eine undifferenzierte Übertragung von Prozessen mit der deutschen Verfassung nicht zu vereinbaren. Die Fernseh-Nahaufnahme eines sich verbal in Widersprüche verstrickenden Boris Becker entspricht nicht der deutschen Gerichtskultur. Jeder Mensch steht unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine vor Gericht stehende Person darf nicht öffentlich vorgeführt werden. Dieses gilt insbesondere für Angeklagte aber insbesondere auch Zeugen in Strafverfahren. Eine mögliche Vorverurteilung von Menschen aufgrund von Fernsehaufnahmen wäre nicht auszuschließen. Im Umkehrschluss besteht auch das Risiko, dass Prozessbeteiligte die Verhandlung als Forum für eine Selbstdarstellung wahrnehmen. Insofern ist den Verfassungsrichtern beizupflichten, wenn sie davor warnen, dass die verstärkte Medienpräsenz das Verhalten aller Beteiligten beeinflussen könnte. Ein faires Verfahren wäre durch die uneingeschränkte Zulassung von Hörfunk- und Fernsehübertragungen aus Gerichtsverhandlungen jedenfalls nicht mehr gewährleistet.
Jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass Medien wie Internet und Fernsehen mittlerweile in Deutschland eine große Rolle spielen. So wird die Arbeit wichtiger Säulen der Demokratie per Internet/TV übertragen. Das Fernsehen zeigt Debatten aus dem Bundestag und die mediengerechte Darstellung der Standpunkte und Ziele ist ein wichtiges Instrument im Kampf um politische Mehrheiten. So erscheint es nicht mehr zeitgemäß, die Arbeit der Justiz fernsehmäßig vollkommen unbeleuchtet zu lassen und die Vorstellung der Bürger von der Justiz durch US-amerikanische Anwaltsserien oder Gerichtsklamauk à la „Barbara Salesch“ prägen zu lassen. Entsprechend der abweichenden Meinung der drei Verfassungsrichter darf eine Aufzeichnung durch Hörfunk und Fernsehen nicht mehr kategorisch ausgeschlossen sein. Jedoch muss in einem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Medienberichterstattung der Schutz von Verfahrensbeteiligten genau bestimmt werden. Das Persönlichkeitsrecht von Menschen in schwierigen Lebenssituationen darf nicht der Zuschauerquote geopfert werden. Fernsehbilder können wie kein anderes Medium sehr schnell die Meinungsbildung der Betrachter beeinflussen. Und wie rasch eine Vorverurteilung aufgrund von Medienberichterstattung erfolgen kann, das hat der Fall des kleinen Joseph in Sebnitz bewiesen. Durch die Fernsehaufzeichnung darf die für jeden Menschen bis zur Verurteilung geltende Unschuldsvermutung nicht unterlaufen werden.
Doch eine maßvolle Öffnung der Gerichte für moderne Medien könnte dazu führen, dass die Arbeit der Justiz für die Bürger durchschaubarer wird. Denn eine sachliche Dokumentierung der Arbeit der Robenträger tut Not. Live-Übertragungen aus den die Entscheidung vorbereitenden Verhandlungen werden wohl die Ausnahme bleiben, da die Gefahr einer unbeabsichtigten Überschreitung von Persönlichkeitsverletzungen bestünde. Die Justiz kann sich jedoch nicht weiter der Tatsache verschließen, dass wir im Multimedia-Zeitalter leben und in dieser Hinsicht auch verstärkte Informationsansprüche an sie gestellt werden. Diese Forderung ist auch nicht neu, denn schon 1961 hat die damalige Bundesregierung den vollständigen Ausschluss der Medienöffentlichkeit für nicht erforderlich gehalten, und zwar selbst für Strafverfahren. Der Vorstoß der Regierung ist damals jedoch durch den Bundesrat verhindert worden. Es bleibt zu hoffen, dass dieses nicht nochmal passiert, und eine weitergehende Öffnung der Gerichte für die Medien möglich wird. Denn was die Obersten Gerichten für Entscheidungen verkünden, ist von Bedeutung für die Bürger und die Gesellschaft. Hier muss ein zeitgemäßer Zugang durch die Medien geschaffen werden. Gericht-live sollte in moderater Form Wirklichkeit werden, ohne das nicht-professionelle Verfahrensbeteiligte ihrer Rechte entledigt werden.
Burkhard Renner, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, RENNER MORBACH Rechtsanwälte